
12 ganz „einfache“ Regeln fürs Leben
12 ganz „einfache“ Regeln fürs Leben
Robert B. Petersons Weltbestseller „12 Rules for Life“ enthält 12 Lebensregeln, die einfach zu lesen, aber nicht so einfach zu verstehen sind

Auf den Punkt gebracht
Auf 12 Regeln für das ganze Leben? Wirklich, das reicht? Nicht wirklich. Denn Jordan B. Petersons Bestseller erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er sagt nicht einmal, dass die „12 Regeln fürs Leben“ die entscheidenden, einzigen und wichtigsten Regeln sind, die man befolgen muss. Warum ist dieses Buch dann ein Bestseller geworden? Das liegt sicher daran, wie Peterson diese Regeln herleitet und was er dazu schreibt.
Ich muss gestehen: Ich habe selten ein kreativeres und tiefergehendes Buch in der Hand gehalten. Entweder man findet dieses Buch genial, bewundert es wie ein seltenes Kunstwerk, was es ohne Zweifel ist, und schreibt Peterson eine Art „Prophetenstatus“ zu. Oder man steigt aufgrund der Fülle der Gedanken aus. Wer jedoch über ein einen komplexen Charakter verfügt, für den ist Petersons Buch ein offenbarender Zeitvertreib. Zumal man es nach dem ersten Lesen nicht sofort beiseitelegen kann!
Wichtige Hintergrund-Info über dieses Buch
Dieses Buch wäre wahrscheinlich ohne die Online-Wissen-Plattform „Quora“ nicht entstanden. Dort hatte Peterson eine 42 Antworten umfassende Liste auf die Frage eingestellt: „Was sind die wertvollsten Dinge, die jeder wissen sollte?“ Das überwältigende Feedback brach zeitweilig alle Rekorde. Diese Liste war eine der meistgelesenen Listen des Internets. Das brachte einen Verlag dazu, daraus ein Buch zu machen. Die Geburt des Bestsellers „12 Rules for Life“. Darin verarbeitete Peterson einige seiner 42 Thesen, aber: bei weitem nicht alle.
Für wen dieses Buch vor allem ist
Keine leicht zu beantwortende Frage. Für dieses Buch gibt es keine klar definierte Zielgruppe, denn der Sinn des Lebens geht uns alle an. Es wäre aber auch falsch, dem Buch zu attestieren, es sei „für jeden“ geschrieben. Die New York Times bezeichnete Peterson als „den einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen seiner Zeit“. Ich finde, das trifft es ganz gut. Dieses Buch wurde von einem Intellektuellen für andere Intellektuelle geschrieben. Das heißt: Wer einen Autor nicht auf langen ausgedehnten gedanklichen Spaziergängen begleiten möchte oder kann, für den wird die Lektüre kein einfacher Zeitvertreib werden. Dann wäre man mit Ratgebern wie „Simplify Your Life“ besser dran. So könnte man sagen: Dieses Buch ist für Intellektuelle mit einem gewissen Reifegrad verfasst, die nach dem Sinn des Lebens suchen oder mehr aus ihrem Leben machen möchten.
Was man aus diesem Buch unter anderem mitnehmen kann
Da an dieser Stelle nicht zu viel verraten werden darf, werden die 12 Regeln hier nicht dargelegt. Ein paar „Appetizer“ kann man dennoch fallen lassen.
Das Kernthema des Buches
Es geht um die Frage, wie die menschliche Existenz, die von Verletzlichkeit und Fragilität geprägt ist, mit einer Welt fertig wird, die von ständigen Veränderungen und Bedrohungen gekennzeichnet ist. Oft dazu noch begleitet von Problemen und sinnlosen Leiden. Peterson weiß als Psychologe und Therapeut, dass Ordnung für Menschen Halt und Orientierung stiftet. Und dass der Mensch deshalb Regeln benötigt, um ein sinnvolles Leben zu führen und (s)eine Richtung zu finden. Hier setzt Peterson an. Seine 12 Regeln sind ähnlich einfach formuliert wie die 10 Gebote. Aber die Lesart dahinter ist eine ganz andere. Damit gelingt es Peterson, sich von platten Ratgebern und geschlossenen Weltbildern wohltuend zu unterscheiden. Denn der moderne aufgeklärte Mensch würde erkennen, dass einfache Rezepte zu kurz greifen, sein von Komplexität und Paradoxien geprägtes Weltbild braucht daher eine umfassendere Rezeptur.
Religionen basieren auf einem geschlossenen Weltbild. Peterson stellt Regeln für ein offenes Weltbild auf. Sozusagen die 12 Regeln neben den 10 Geboten. Er gibt 12 Antworten auf die Frage: Was muss ich beachten, um in einer Welt, die sich ständig verändert, Sinn, Struktur und Halt zu finden? Seine Antwort: Indem man sich bemüht, mit Veränderungen und Paradoxien zu leben und sein Leben als ständiges Wachstum zu begreifen, um das existenzielle Chaos besser annehmen zu können. Nicht, um die Leiden, Probleme und Sorgen einfach hinzunehmen und nichts dagegen zu tun, sondern um sie besser bewältigen zu können.
Was kritisch und positiv zugleich ist
Peterson stellt 12 Regeln auf mit einem ungeheuer großen, nahezu „biblischen“ Anspruch. Dafür wirken manche Regeln und Erklärungen jedoch erstaunlich „flach“: Etwa die Regel, eine Katze zu streicheln, wenn sie einem zufällig über den Weg läuft. Petersons „Trick“: Bei 50 Prozent aller Kapitel stellt sich am Ende heraus, dass der Sinn dieser Regel tatsächlich aus ihrem Wortlaut nicht ableitbar ist. Denn weder geht es um in diesem Kapitel um das Streicheln von Tieren noch um charitative Aspekte oder darum, liebevoll und verantwortlich mit anderen Geschöpfen umzugehen. Lassen Sie sich überraschen! Das Buch ist daher extrem kreativ, verblüffend und enthält nur selten das, was der Leser unmittelbar erwarten würde. Manchmal lässt Peterson den Leser mit ein paar Puzzleteilen seiner Gedanken allein. Warum er gerade diese 12 Regeln ausgewählt hat, bleibt offen. Das ist nicht wirklich schlimm. Aber die Frage danach sei erlaubt …
Fazit
Wer bereit ist zu interpretieren und Sinnbausteine zusammenzusetzen, für den eröffnet sich hier eine spannende und ungeheuer sinnstiftende Lektüre: um sich neu aufzustellen und sein Leben neu zu ordnen. Dieses Buch ist ganz im Sinne des Satzes von Sartre (Lesen ist gelenktes Schaffen) geschrieben: ein buntes Füllhorn an Puzzleteilen, die man sich im Lese- und Verstehensprozess auch in Schleifen erschließt. Wer aber erwartet, dass hier einfache Wahrheiten „vorgekaut“ werden, der sollte sich an klassische, einfach gestrickte „Ratgeber“ halten.
Insofern ist „12 Rules for Life“ (auch im Deutschen mit dem englischen Titel erschienen) ein brillant geschriebenes Buch und eine unterhaltsame Lektüre. Mit 12 scheinbar ganz einfachen Regeln, die aber auf den zweiten Blick einen enormen Tiefgang entfalten. Wie im richtigen Leben, so muss man auch in Petersons Bestseller die Komplexität und das Paradoxe unserer Existenz aushalten. Und wenn DU dich in den Untiefen dieses Buches das eine oder andere Mal verlieren solltest, so kann man dir locker und ermutigend zurufen: Kein Thema – das ist dem Autor selbst beim Schreiben auch manchmal passiert! ;- )
Achtung, dieses Buch kann den Leser in die Lage versetzen, ein sinnvolleres Leben als bisher zu führen, leidvolle Erfahrungen besser zu bewältigen, viele Dinge in Ordnung zu bringen und zu guter Letzt: ein Licht für diese Welt zu sein! Über wie viele Bücher kann man das behaupten?
12 Chapters Can Change Your Life! Christian Born